(Beitrag von 2020)
Im Voraus möchte ich darauf hinweisen, dass alle Gastbeiträge sehr individuell sind. Jeder Betroffene hat seine eigene Geschichte. Bezüglich Therapiemöglichkeiten und anderer medizinischer Aspekte sollte man sich also unbedingt mit den eigenen behandelnden Ärzten in Verbindung setzen.
Die Namen der Patienten wurden aus datenschutztechnischen Gründen abgeändert und pseudonymisiert.
Im Folgenden findet ihr den Gastbeitrag von Lisa W., die ihre Geschichte mit der Welt teilen möchte. Vielen Dank dafür!
Die Endlichkeit ist greifbar...
Immer, wenn ich meine Geschichte erzähle weiß ich nie so richtig wie ich anfangen soll, denn auch meine Geschichte hat keinen wirklichen Anfang.
Ich wurde 2015, 3 Tage nach meiner kirchlichen Trauung mit IPAH, damals NYHA 4, diagnostiziert. Der Mitteldruck lag damals bei 95 und der Tod war bei der Diagnose näher als das Leben. Aber ich habe mich zurückgekämpft, denn mit 23 Jahren sterben, das wäre wie aufgeben gewesen und ist es auch heute, 5 Jahre später, noch immer.
Die Diagnose kam damals zu einem Zeitpunkt, in dem das eigene Leben erst so richtig Fahrt aufnehmen sollte. Ich war seit über 1 Jahr ausgelernt und hatte gerade den Festvertrag unterschrieben. Ich war bereit, für all das was wir vorhatten und für jeden Schritt, der da auf uns zu kam. Wir hatten vieles durchgeplant, waren aber auch offen für Überraschungen. Wir waren kurz vorher in ein Haus gezogen und es war vereinbart, dass wir dies nach 1-2 Jahren auch kaufen wollten. Wir planten beim Umzug schon, wie wir später einmal die Zimmer aufteilen, wenn Kinder da sind und auch was wir gern noch ändern wollen im Haus. Das uns am Ende der Lungenhochdruck dazwischen kommt, das konnten wir nicht ahnen.
Die Erinnerungen an diese Zeit davor sind oft schmerzhaft und manchmal frage ich mich was an dem Traum, den wir hatten, zu groß geträumt war, wieso uns das, was eigentlich fast jeder möchte, vergönnt wird. Aber auch nach 5 Jahren habe ich keine Antwort auf diese Frage.
Das Leben mit dem Lungenhochdruck verlief wie bei den meisten - der Sauerstoff kam und Freunde gingen. Wäre der Sauerstoff ein besserer Entertainer, könnte man fast sagen man hat getauscht für mehr Spiel, Spaß und Spannung im Leben, aber dem ist leider nicht so. Wir verloren in den ersten 6 Monaten so gut wie all unsere Freunde, weil diese der Meinung waren, dass man sich doch nach 4 Wochen auch mal wieder fangen könnte und die Situation jetzt auch mal akzeptieren muss, dass man eben keine Kinder haben kann und auch dass man mit 23
Jahren zu Hause sitzt, weil nichts mehr geht. Bis heute kann ich nicht verstehen, wie jemand erwarten kann, dass man sich nach wenigen Tagen damit abfinden soll, dass man nicht alt wird. Dass man nach 4 Wochen doch die eigene Endlichkeit akzeptieren soll. Doch wie geht man damit um, dass jeder Tag der letzte sein könnte?
Ich weiß es nicht und ich habe ehrlich gesagt auch keinen richtigen Rat dazu. In den fast 5 Jahren mit PH haben wir so viele tolle Menschen kennengelernt und jeder geht anders damit um.
In den ersten 6 Monaten nach der Diagnose, war ich fest davon überzeugt, dass Selbstzerstörung die beste Alternative wäre. Ich bot meinem Mann nach der Diagnose die Reißleine an und er zog sie nicht, sondern beschloss zu bleiben und dennoch war ich der
Meinung, dass ich dann die Reißleine ziehen müsste für ihn und tat alles daran meine Ehe zu zerstören. Bis ich nach 6 Monaten die Einsicht hatte, dass die Entscheidung zu bleiben, er getroffen hatte und es nicht mein Recht ist, seine Entscheidung zu ändern oder anzuzweifeln. Hätte er die Reißleine gezogen, dann hätte ich ja damit auch klarkommen müssen. Am meisten hat mir aber geholfen, mir meinen Mann mit einer anderen Frau, die dann mein Leben geführt hätte, vorzustellen. Das war etwas, dass ich nicht wollte, ich wollte einfach nicht, dass jemand anders mein Leben lebt. Egal ob sie nett oder hübsch oder sonst was gewesen wäre. Also war die Entscheidung, die Ehe nicht zu zerstören und die Entscheidung meines Mannes zu akzeptieren zum Großteil auch eine selbstsüchtige Entscheidung. Danach lief unser Leben mit der PH in eine bessere Richtung. Wir fanden neue Freunde, die mich nur mit dem Lungenhochdruck kennen und es auch so akzeptieren können. Ich habe vieles im Leben verändert, nicht nur das wir uns einen Hund zugelegt haben, damit ich einen geregelten Tag habe, nein, ich habe auch verschiedene Hobbies angefangen um mir den Tag so angenehm wie möglich zu gestalten.
Sicherlich müsste man eigentlich viel mehr mit dem Leben anfangen, wenn die Zeit davonrennt, aber sind wir mal ehrlich, wenn der Partner arbeitet oder man selbst nur von einer kleinen Rente lebt, dann fehlen auch hier am Ende Zeit und Geld um das Leben wild zu genießen. Und ehrlich gesagt, genieße ich es mehr, ein relativ normales Leben zu haben. Wir fahren auch in den Urlaub oder gehen mal aus, aber genau betrachtet führen wir ein ganz normales (atemloses) Leben. Dennoch gibt es auch Situationen in denen man die PH oder seine Mitmenschen
verfluchen könnte.
Trotz Sauerstoff werde ich immer wieder angefeindet für das Parken auf einem
Schwerbehindertenparkplatz, obwohl ich die Genehmigung habe und mal ehrlich, bei einer Gehstrecke von 360m in 6 Minuten ist die Nähe zum Supermarkt für mich auch nötig. Aber nicht nur die Mitmenschen machen es einem immer wieder schwer, auch die PH selbst, denn es gibt auch immer wieder Situationen, die nicht klappen oder Orte, die man nicht sehen kann. Mit der Zeit gewöhnt man sich dran, aber ganz still und heimlich fließen dann manchmal immer noch die Tränen. Ich weiß, dass ich zu Beginn öfter geweint habe, weil mir vieles aus der Hand
gefallen ist, weil mir die Stärke fehlte oder auch weil einfach die Situation so unreal erschien.
Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich zu Hause nach der Diagnose das erste Mal gekocht habe. Ich habe immer gekocht daheim und wollte das auch danach weiterhin machen. Ich hob den Topf mit den Spaghetti an und er fiel mir aus der Hand und alle Spaghetti lagen auf dem Boden. Ich bin weinend daneben zusammengebrochen und mein einziger Gedanke war: „Das ist es nun, dein Leben. Du hängst wie ein streunender Köter in deinem eigenen Haus an der 15m Sauerstoffschlauchkette und kannst nicht mal mehr einen Topf Nudeln halten.“.
Mein Mann kam mir dann zu Hilfe räumte auf, kochte neue Spaghetti und trocknete meine Tränen. „So ist das jetzt und wir schaffen das.“- das waren bzw. sind immer seine Worte und was soll ich sagen, genauso ist es auch.
Heute koche ich wieder alleine und mir fällt kaum noch etwas herunter. Wir haben für uns einen Weg gefunden. Also, wie lebt man damit, zu wissen, dass man nicht alt wird? Das weiß ich immer noch nicht aber heute denke ich, dass man darüber erst wirklich nachdenkt, wenn man selbst betroffen ist oder eng mit jemanden zusammenlebt, dem es so ergeht. Mein Mann und ich nehmen das alles größtenteils mit Humor, denn nachdem wir uns dann nach 6 Monaten mal damit abfinden konnten, haben wir festgestellt, dass aus dem Leben niemand lebend rauskommt, denn wir alle leben in einer Endlichkeit und mit der Diagnose ist sie nur realer geworden. Und mit einer guten Portion Humor kann man auch die meisten Sorgen mit dem Lungenhochdruck weglachen.
Vielen Dank an Lisa W. für deine Offenheit!
Comments